Ja, ChatGPT speichert deine Eingaben. Außer du gehörst zu den ganz wenigen Ausnahmen, die zum Beispiel ChatGPT Enterprise nutzen. Das ist die kurze und schmerzlose Antwort. Aber fangen wir von vorne an….
Stell dir vor, jeder Notizzettel, den du jemals zerknüllt und weggeworfen hast, wird heimlich wieder aus dem Papierkorb geholt, geglättet und in einem riesigen Archiv für immer aufbewahrt.
Genau das passiert gerade mit deinen ChatGPT-Chats. Eine richterliche Anordnung aus den USA zwingt OpenAI, die Unterhaltungen seiner Nutzer dauerhaft zu speichern, selbst wenn du sie längst gelöscht hast.
Was wie eine dystopische Randnotiz klingt, ist eine reale Entwicklung mit massiven Auswirkungen auf deine Privatsphäre und den Datenschutz. Wir erklären dir, was hinter dieser Entscheidung steckt, warum sie für dich in Europa gefährlich ist und wie du deine Daten jetzt schützen musst.
Warum ChatGPT jetzt deine Chats speichert
Im Zentrum des Ganzen steht ein Rechtsstreit in den USA: Die New York Times hat OpenAI (und Microsoft) verklagt. Der Vorwurf: OpenAI habe Millionen urheberrechtlich geschützter Artikel des Magazins unerlaubt genutzt, um seine KI-Modelle zu trainieren. Mehr noch, ChatGPT könne auf Anfrage Inhalte der Zeitung fast wortwörtlich wiedergeben und so deren Bezahlmodelle untergraben.
Um in diesem Verfahren Beweise zu sichern, argumentierte die New York Times, dass Nutzer-Chats entscheidend sein könnten. Schließlich könnten sie zeigen, wie und wie oft ChatGPT urheberrechtlich geschütztes Material ausspuckt. Die Befürchtung des Gerichts: Diese wertvollen Beweise könnten durch das routinemäßige Löschen der Chats durch Nutzer oder OpenAI selbst verloren gehen.
Die Folge war eine sogenannte „E-Discovery“-Anordnung: OpenAI wurde angewiesen, vorerst keine Chat-Protokolle („Output Log Data“) mehr zu löschen. Diese Daten unterliegen nun einem „Legal Hold“. Sie werden sozusagen für das Gerichtsverfahren eingefroren.
Wer ist von der Datenspeicherung betroffen? Fast alle.
Diese Anordnung betrifft die große Mehrheit der Nutzer. Wenn du eine der folgenden Versionen nutzt, werden deine Chats jetzt auf unbestimmte Zeit gespeichert:
- ChatGPT Free (die kostenlose Version)
- ChatGPT Plus, Pro und Team (die gängigen Abo-Modelle)
- API-Nutzer ohne einen speziellen „Zero Data Retention“ (ZDR)-Vertrag
Lediglich Nutzer der teuren Enterprise- und Edu-Versionen sind davon ausgenommen. Für sie gelten weiterhin die alten Löschfristen. Für den durchschnittlichen Nutzer oder das kleine Unternehmen bedeutet das aber: Deine Eingaben werden gespeichert.
Frontalkollision: US-Recht trifft auf europäische DSGVO
Während diese Anordnung in den USA ein gängiges prozessrechtliches Mittel ist, verursacht sie in Europa ein juristisches Erdbeben. Denn hier gilt die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), und die Entscheidung aus Übersee kollidiert mit deren Kernprinzipien:
- Recht auf Löschung (Art. 17 DSGVO): Du hast das „Recht auf Vergessenwerden“. Wenn du die Löschung deiner Daten verlangst, muss ein Unternehmen dem nachkommen, sofern keine anderen wichtigen Gründe (wie gesetzliche Aufbewahrungspflichten) dem entgegenstehen. Die pauschale, unbegrenzte Speicherung aller Chats hebelt dieses Recht faktisch aus.
- Datenminimierung (Art. 5 DSGVO): Es dürfen nur die Daten gespeichert werden, die für einen bestimmten Zweck absolut notwendig sind, und nur so lange, wie sie für diesen Zweck gebraucht werden. Eine anlasslose Speicherung aller Chats auf unbestimmte Zeit ist das genaue Gegenteil davon.
- Zweckbindung (Art. 5 DSGVO): Deine Daten dürfen nur für den Zweck verarbeitet werden, für den sie ursprünglich erhoben wurden. Eine spätere Nutzung als Beweismittel in einem US-Urheberrechtsstreit war sicher nicht der Zweck, als du dich bei ChatGPT angemeldet hast.
Rechtsexperten sind sich einig: Die Situation ist für europäische Nutzer höchst problematisch. Die Anordnung eines US-Gerichts kann nicht einfach die klar definierten Grundrechte der EU-Bürger außer Kraft setzen.
Was bedeutet die Speicherung deiner Chats jetzt konkret für dich?
Panik ist ein schlechter Ratgeber, aber Naivität ist noch gefährlicher. Deine Strategie im Umgang mit ChatGPT muss sich ab sofort ändern. Betrachte jeden Chat so, als würdest du ihn auf eine öffentliche Pinnwand schreiben.
Regel 1: Keine sensiblen Daten. Niemals!
Die wichtigste Regel ist simpel: Gib nichts in ChatGPT ein, was du nicht auch auf eine Postkarte schreiben würdest. Das betrifft insbesondere:
- Personenbezogene Daten: Namen, Adressen, Telefonnummern oder andere Details über dich, deine Kunden, Patienten oder Mitarbeiter.
- Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse: Interne Firmenstrategien, Kundendatenbanken, Finanzpläne, Quellcode oder unveröffentlichte Produktideen.
- Vertrauliche Dokumente: Vertragsentwürfe, persönliche Notizen oder medizinische Informationen.
Regel 2: Anonymisiere!
Wenn du ChatGPT für die Arbeit nutzt, mach es dir zur Gewohnheit, alle Eingaben zu anonymisieren.
- Statt: „Schreibe eine Kündigung für unseren Mitarbeiter Max Mustermann, geboren am 01.02.1980…“
- Nutze: „Erstelle ein Muster für eine ordentliche Kündigung eines Mitarbeiters aus betrieblichen Gründen.“
- Verwende Platzhalter wie „Person A“, „Firma X“ oder „Produkt Y“.
Regel 3: Kenne die Alternativen
Für wirklich sensible Aufgaben solltest du über Alternativen nachdenken. Es gibt inzwischen KI-Anbieter mit Sitz in der EU, die explizit DSGVO-Konformität und die Speicherung von Daten ausschließlich in Europa garantieren. Für Unternehmen, die auf Nummer sicher gehen wollen, sind diese oft die bessere, wenn auch nicht immer ganz so leistungsstarke Wahl.
Fazit: Ein Weckruf für uns alle
Der Rechtsstreit zwischen der New York Times und OpenAI ist ein Weckruf, der uns schmerzhaft daran erinnert, dass unsere Daten in einer global vernetzten Welt zum Spielball fremder Interessen und Rechtssysteme werden können.
Dein digitaler Papierkorb bei ChatGPT ist bis auf Weiteres versiegelt. Gehe verantwortungsvoll mit dieser neuen Realität um. Denn im Zeitalter der KI ist die wichtigste Fähigkeit nicht nur, die richtigen Fragen zu stellen, sondern auch zu wissen, welche man besser für sich behält.